Vertrauen im Sinkflug: Deutsche Institutionen gefangen in einer Abwärtsspirale aus Misstrauen und Tatenlosigkeit
- Vertrauensblase geplatzt: Das Vertrauen der Deutschen in Regierung, Medien, Wirtschaft und NGOs ist auf Vorpandemieniveau zurück – die Deutschen sprechen ihr Misstrauen aus.
- Misstrauensvotum gegenüber Führung: Deutlich über ein Drittel der deutschen Befragten ist überzeugt, dass die Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft, Medien und Regierung die Menschen absichtlich anlügen und in die Irre führen. Alarmierend: Gleichzeitig steigt die Sorge, dass Falschnachrichten als Waffe verwendet werden.
- Aufholbedarf bei der Diskussionskultur: 64 % der Deutschen sagen, dass den Menschen hierzulande die Fähigkeit fehlt, konstruktive und zivile Debatten über Themen zu führen, bei denen sie unterschiedlicher Meinung sind.
Frankfurt am Main, 31. Januar 2022. Die Bilanz fast zwei Jahre nach Ausruf der globalen Krise ist eindeutig: der Vertrauensvorschuss, den vor allem die Regierung zu Beginn der Pandemie erhalten hatte und damit auf ein Allzeithoch katapultiert wurde, ist verloren. Doch nicht nur die Regierung befindet sich in einem Teufelskreis des Misstrauens, denn: Das Vertrauen der Deutschen in die Institutionen Regierung, Medien, Wirtschaft und NGOs ist zurück auf Vorpandemieniveau und liegt damit im Misstrauensbereich. Das zeigen die aktuellen Daten des Edelman Trust Barometer 2022. Darin hat Edelman über 36.000+ Menschen in 28 Märkten zu ihrem Vertrauen befragt.
So hat Deutschland bei der Betrachtung in der allgemeinen Bevölkerung im Vergleich zum Vorjahr deutlich an Vertrauen eingebüßt (von 53 Indexpunkten auf 46 Indexpunkte) und rutscht in den Misstrauensbereich (Trust-Score unter 50). Den Spitzenplatz als vertrauenswürdigste Institution hierzulande muss die Regierung mit deutlichen Vertrauensverlusten (47 %, – 12 %pkt. zu 2021; global: 52 %; -1 %pkt.) knapp der Wirtschaft mit 48 % (- 6 %pkt. zu 2021; global: 61 %) überlassen. Gleichauf mit der Regierung landen die Medien (47 %, – 5 %pkt; global: 50 %, – 1%pkt.), gefolgt von den NGOs (40 %, -6 %pkt. zu 2021; global: 59 %, + 2%pkt.).
Diskussionskultur auf dem Prüfstand
Welche Faktoren Einfluss auf den deutlichen Vertrauensverlust haben, zeigt sich bei Regierung und Medien deutlich: Beide werden hierzulande anstatt als einigende Kräfte (Regierung: 34 %; Medien: 36 %; global: 36 %, 35 %), als spaltende Kräfte (Regierung: 46 %; Medien: 41 %; global: 48 %, 46 %) in der Gesellschaft angesehen.
Hinzukommt eine weitere fragwürdige Entwicklung: 64 % der in Deutschland Befragten geben an, dass den Menschen hierzulande die Fähigkeit fehlt, konstruktive und zivile Debatten über Themen zu führen, bei denen sie unterschiedlicher Meinung sind.
„Die Ergebnisse spiegeln in aller Deutlichkeit eine besorgniserregende Entwicklung aus gesellschaftspolitischer Sicht wider und zeigen, an welcher kritischen Stelle wir uns mittlerweile befinden. Fehlende Führung, Falschnachrichten und eine desolate Debattenkultur befeuern die Divergenz in der Bevölkerung zunehmend. Um dieser entgegenzuwirken, braucht es mehr denn je gebündelte Kräfte der Institutionen, vertrauenswürdige Informationen und eine klare Kommunikation, die Orientierung bietet“, sagt Christiane Schulz, CEO Edelman Deutschland.
Sorge vor Falschnachrichten weiterhin besorgniserregend
Das Edelman Trust Barometer 2022 zeigt zudem, dass die „Infodemie“* nicht eingedämmt, sondern weiter an Fahrt aufgenommen hat. Denn trotz der bereits schlechten Vorjahreswerte verlieren die traditionellen Medien (58 %, -5 %pkt. zu 2012; global: 57 %, -5 %pkt.) und Social Media (20 %, -11 %pkt zu 2012; global: 37 %, -8 %pkt.) als Quelle für allgemeine Nachrichten und Informationen hierzulande weiter an Vertrauen. Ein Trend, der sich auch in Bezug auf die Sorge um Falschinformationen weiter fortsetzt: gut zwei Drittel der Deutschen (67 %, +4 %pkt. zu 2021; global: 76 %, + 4 %pkt.) geben an, dass sie sich davor sorgen, dass Falschinformationen oder -nachrichten als Waffe verwendet werden – global ein Wert auf einem Allzeithoch.
* „Infodemie“ bedeutet, dass es einen Überfluss an Informationen gibt, jedoch die Vertrauenswürdigkeit der Quellen nicht immer sichergestellt ist. Sprich die Informationen können richtig, aber auch falsch sein, sodass es Menschen schwer fällt, wirklich vertrauenswürdige Quellen und verlässliche Hilfestellungen zu finden.
Führungskrise weitet sich aus
Eine Frage, die in diesem Kontext ebenfalls alarmierend ist: Die hierzulande Befragten sind zunehmend besorgt, dass die gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft (45 %; global: 63 %), Medien (45 %; global: 67 %) und Regierung (42 %; global: 66 %) die Menschen absichtlich in die Irre führen wollen, in dem sie Dinge äußern, von denen sie wissen, dass sie entweder falsch oder grob übertrieben sind. Insgesamt fällt für diese Personen, CEOs (36 %; global: 49 %), Regierungsverantwortliche (36 %; global: 42 %) sowie Journalisten (41 %; global: 46 %), das Vertrauen in sie als Führungspersönlichkeit negativ aus – alle bewegen sich weiter im Misstrauensbereich. Das Vertrauen zugesprochen bekommen hingegen die Wissenschaftler (69 %; global: 75
„In Anbetracht dessen braucht es mehr denn je eine klare Führung – doch zeigen die Ergebnisse, dass die hierzulande Befragten keiner der Institutionen die Führungsrolle bei der Lösung gesellschaftlicher Probleme zutraut“, sagt Christiane Schulz.
Vor allem die Regierung überzeugt die Mehrheit nicht, dass sie die Führungsrolle übernehmen (31 %; Wirtschaft: 39 %, NGOs: 33 %, Medien: 25 %) oder erfolgreich Ergebnisse erzielen kann (27 %, Unternehmen: 54 %, NGOs: 40 %, Medien: 31 %).
Hoffnungsträger Wirtschaft und Arbeitgeber
Das Misstrauen in die Leistungsfähigkeit und Verlässlichkeit der Regierung führt zu einer erhöhten Erwartungshaltung an die Wirtschaft und ihre Unternehmenslenker. So wird die Wirtschaft als kompetenter als die Regierung angesehen und bekommt eine klare Rolle bei dem Informationsauftrag zugesprochen. Denn: in Deutschland ist die Kommunikation des Arbeitgebers die glaubwürdigste Informationsquelle. 49 % müssen Informationen durch ihn nur ein oder zweimal sehen, um diese zu glauben (global: 52 %). Weitere 25 % glauben den Informationen auf den ersten Blick (global: 13 %).
Von CEOs wird erwartet, dass sie Gespräche und politische Debatten zu einer Reihe von Themen mitgestalten und beeinflussen. 70 % oder mehr sind hierzulande und global der Meinung, dass CEOs Gespräche über Themen, die speziell mit der Wirtschaft zu tun haben, informieren und mitgestalten sollten: Arbeitsplätze und Lohnungleichheit. Die Mehrheit möchte aber auch, dass sich CEOs zu gesellschaftlichen Herausforderungen wie Technologie und Automatisierung sowie den Klimawandel äußern. Fakt ist: die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Wirtschaft die Grenze bei Weitem noch nicht überschritten hat, in Bezug auf gesellschaftliche Herausforderungen zu viel zu tun.
„Mehr denn je sind die Blicke auf die Wirtschaft gerichtet, um die Lücke, die die Regierung nicht füllt, zu schließen. Die Menschen entscheiden wertegetriebener, wer als Arbeitgeber für sie in Betracht kommt und welche Produkte sie kaufen. Der eigene Arbeitgeber hat dabei als Quelle für Informationen seinen Vertrauensvorschuss als einziger noch nicht verspielt. Die Ergebnisse des Edelman Trust Barometer 2022 zeigen deutlich, dass der Teufelskreis des Misstrauens nur durch qualitativ hochwertige und zuverlässige Informationen durchbrochen werden kann. Denn gut informiert zu sein, ist ein wirkungsvoller Treiber von Vertrauen, der in der Lage ist, sogar einkommensbedingte Vertrauenskluften zu überwinden“, so Christiane Schulz.
-> Januar-Update: Regierung erhält im Januar 2022 kleinen Vertrauenskredit
Die Ergebnisse eines Flash-Polls vom 24. Januar 2022 in der allgemeinen Bevölkerung in Deutschland zeigen, dass die Regierung, im Vergleich zu dem Edelman Trust Barometer 2022 (im November 2021 im Feld), einen kleinen Vertrauenskredit gewährt bekommen hat: 51 % der hierzulande Befragten setzen demnach ihr Vertrauen in die Regierung (+ 4%pkt. im Vergleich zu November). Auch der Blick auf die Wirtschaft (50 %, + 2 %pkt.), Medien (51 %, + 4%pkt.) und NGOs (46 %, + 6%pkt.) fällt etwas positiver aus.
Ein ähnlicher Vorschuss zeigt sich bei den gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten: So konnten CEOs (41%, + 5 %pkt.), Regierungsverantwortliche (46 %, + 10%pkt.) und Journalisten (48 %, + 7pkt.) im Januar 2022 im Vergleich zu November 2021 an Vertrauen gewinnen.
„Als die Zahlen des Edelman Trust Barometer 2022 erhoben wurden, befand sich Deutschland inmitten der Findung einer neuen Regierung den entsprechenden Koalitionsverhandlungen und verzeichnete aus pandemischer Sicht einen großen Anstieg an Neuinfektionen. Die Ergebnisse unserer Zusatzbefragung zeigen nun, dass die Befragten der neuen Regierung und den anderen Institutionen einen kleinen Vertrauensvorschuss geben und die Hoffnung in sie nicht ganz verloren ist. Für Regierungsverantwortliche, aber auch für Journalisten und Unternehmenslenker heißt es, diesen spätestens jetzt kooperativ zu nutzen“, sagt Christiane Schulz.
Über das Edelman Trust Barometer 2022
Das Edelman Trust Barometer 2022 ist die 22. jährliche Umfrage des Unternehmens zu Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Die Umfrage wurde vom Marktforschungsunternehmen Edelman Data & Intelligence (DxI) durchgeführt und bestand aus 30-minütigen Online-Interviews, die zwischen dem 1. und 24. November 2021 stattfanden. An der Online-Umfrage zum Edelman Trust Barometer 2022 nahmen mehr als 36.000 Personen teil, darunter 1.150 Befragte aus der Allgemeinbevölkerung in 28 Märkten. Weitere Informationen finden Sie unter https://www.edelman.com/trust-barometer
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